Digitale Vorbilder gesucht!

Am 30. September hatte ich das Vergnügen, bei dem Startschuss der Veranstaltungsreihe #Digitale Vorbilder – Familien gehen online dabei zu sein und einen kurze Input zu geben. Die Veranstaltungsreihe ist Teil eines EU finanzierten Projekts, das gemeinsam von dem Hamburgischen Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit und dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern initiiert wurde.

Die Kick-off-Veranstaltung in Hamburg war als Medienaktionstag im Familienzentrum Schorsch im IFZ konzipiert, mit tollen Angeboten für die Großen (mit dabei Klick-safe, jugendschutz-net, Elternmedienlotsen uvm.) und die Kleinen (Kletterwand, MakeyMakey,Online-Spiele selbst gestalten etc.). Durch das inhaltliche Programm führte die wunderbare Gloria Boateng.

„Was für ein digitales Vorbild bist Du?“

Mit diese Frage hatte ich meinen Input überschrieben, um die Teilnehmenden dafür zu sensibilisieren, dass jede/r von uns ein digitales Vorbild ist – auch wenn uns das manchmal gar nicht so bewusst ist.

Häufig übersehen wir, dass Kinder und Jugendliche schon sehr früh mit digitalen Medien in Berührung bekommen. Dabei beginnt die Nutzung nicht erst mit dem eigenen Gerät, sondern bereits mit der Beobachtung der Eltern, z. B. wenn diese telefonieren, während diese die Kinderkarre schieben oder kurz ein paar Nachrichten versenden, während das Kind in der Sandkiste spielt.  

Auch die Altersgrenzen, ab der Kinder mit zwar einfach zu bedienenden, aber hoch komplexen digitalen Geräten und Angeboten in Berührung kommen, hat sich in den letzten Jahren immer weiter nach unten verschoben. Schon die ganz Kleinen dürfen dann das Familien-Tablet nutzen, um einen Film zu sehen, oder unterwegs auf dem elterlichen Smartphone ein Spiel spielen, um Wartezeiten zu überbrücken. 

Das heißt: Schon für die ganz Kleinen sind die Eltern (aber auch die Geschwister) und später dann die Freunde wichtige Personen, an denen sie sich abschauen, wie man so die digitalen Medien nutzt. Insofern sollten sich Eltern schon bei sehr kleinen Kindern, die noch nicht einmal laufen oder sprechen können, vergegenwärtigen, welches Medienhandeln sie vorleben, was für ein digitales Vorbild sie sind und was für eines sie sein wollen.

Und was sehen viele Kinder, wenn sie ganz klein sind? Unter anderem, dass die digitalen Geräte sehr viel Aufmerksamkeit der Eltern in Anspruch nehmen und offensichtlich sehr interessant sein müssen – so interessant, dass sie oftmals nicht mitbekommen, was ihr Kind gerade macht oder von ihnen möchte.

Es ist schon einige Zeit her, aber da war ich bei einem Elternabend in einer Hamburger Grundschule. Dort hatten die Lehrerinnen im Vorfeld eine kleine Umfrage unter den Schülerinnen gemacht zu der Frage „Stört Dich etwas an der Mediennutzung Deiner Eltern“. Weder ich noch die Lehrerinnen hatten damit gerecht, dass die Kinder zu dieser Frage eine so klare Meinung hatten:

„Es stört mich, dass meine Eltern iPads haben“

„Ja, manchmal finde ich, dass meine Eltern zu viel am Handy sind“

„Manchmal macht mein Papa viel am Handy. Meine Mama macht bisschen viel am Computer“

„Ja, mein Vater ist viel am Handy!“

Ja! Wenn meine Papa auf dem iPad so ein komisches Spiel spielt“

„Mein Vater ist zu viel bei Ebay“

„Dass sie immer drauf gucken“

„Ja, weil meine Eltern lieber Spiele mit mir spielen sollen als am Computer zu arbeiten“

Vorbilder in Bezug auf Nutzungspraktiken

Eltern sind nicht nur Vorbilder im Hinblick darauf, wie oft und wie lange sie Smartphones oder Tablet nutzen, sondern auch in Bezug auf das, was sie mit den Geräten bzw. online tun, z.B.:

  • Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Datenschutzerklärungen nicht lesen
  • Altersregelungen ignorieren (oftmals wird die Einwilligung der Eltern formal eingefordert, aber nicht die Richtigkeit der Alters-Angaben oftmals nicht überprüft)
  • Datenschutzbestimmungen einfach wegklicken
  • Cookies wahllos akzeptieren
  • Privatsphären-Einstellungen für überflüssig halten
  • Passwörter weitergeben
  • Bilder von ihren Kindern teilen
  • und vieles mehr

Gerade das Teilen von Kinderbildern (sharenting oder oversharenting, eine Zusammensetzung aus to share und to parent) ist ein sensibles Thema, zumal die Kinder in den seltensten Fällen um ihr Einverständnis gebeten wurden. Wirklich Besorgnis erregend sind aktuell Videos, die geteilt werden, in denen im Rahmen von Challenges Kinder gezielt in (unangenehme) Situationen gebracht werden, z. B. indem man ihnen ein rohes Ei an den Kopf haut, ihre Reaktion filmt und diese dann über die sozialen Medien verbreitet. Ein derartiges Verhalten ist aus meiner Sicht ein absolutes No-Go.  Aber die Funktionsweisen der digitalen Medien vermitteln den Eindruck, dass solche Inhalte ankommen und den meisten Zuspruch bzw. Likes erhalten.

Im ungünstigen Fall bekommen die Kinder also schon sehr früh den Eindruck, dass Medien sehr viel Aufmerksamkeit erhalten, die Nicht-Einhaltung von Regeln/AGBs nicht nur einfach, sondern auch ok ist, Datenschutz und Datensicherheit nicht so wichtig sind, die eigenen Persönlichkeitsrechte von den Eltern (!) ignoriert und sogar bewusst verletzt werden und alle anderen das doch auch tun.

Aus der Forschung wissen wir inzwischen recht gut, wie Kinder digitale Angebote nutzen und welchen Herausforderungen sie begegnen. Wir haben uns in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Online-Risiken auseinandersetzt.[1, 2] Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass viele Eltern sich besonders Sorgen machen, dass ihr Kind online beängstigende Inhalte sieht, mit nicht vertrauenswürdigen Personen in Kontakt kommt (oder auch in komische Kreise gerät, die einen negativen Einfluss auf ihr Kind ausüben) und/oder dass ihr Kind zu viel Zeit mit den digitalen Medien verbringt.[1] Wenn wir weiter reinzoomen, zeigt sich, dass ca. ein Drittel der Eltern von 9- bis 16-Jährigen sich Sorgen macht, dass ihr Kind zu viele persönliche Daten öffentlich macht (vor allem eher die 9- bis 10-Jährigen), dass im Internet persönliche Daten ihres Kindes gesammelt oder ausspioniert werden oder dass das Kind Opfer von Kostenfallen, Abzocke oder Betrug wird.[1]

Eine weitere Beobachtung, die sich in in den Studien abzeichnet ist, dass Eltern insbesondere von älteren Kindern oftmals denken oder zumindest hoffen, dass diese eigentlich gut allein klar kommen [1].

„Der Zug ist abgefahren. Man kann nur hoffen, dass die Kids so viel Weitsicht haben und erkennen was gut bzw. schlecht ist.“ (Vater eines 16-jährigen Jungen)“

„Das [Sorgenmachen] ist vorbei. Am Ende erklärt er mir was im Internet und nicht umgekehrt.“ (Mutter eines 16-Jährigen)

Quelle: Jugendmedienschutz-Index 2022

Dabei unterschätzen Eltern, dass sie auch für diese Altersgruppe in vielerlei Hinsicht eine wichtige Orientierungsfunktion haben und z.B. auch in kritischen Situationen eine wichtige unterstützende Anlaufstelle sein können.

Kinder und Jugendliche befinden sich oftmals in einem Dilemma befinden: Sie wissen eigentlich, was online richtig und erlaubt ist oder was man machen könnte, um Risiken zu minimieren, aber gleichzeitig locken die Anwendungen mit einfachen Möglichkeiten, Zugangshürden zu umgehen bzw. mit attraktiven Belohnungen (z.B. viele Likes oder Follower), wenn man bereit ist, viel von sich preis zu geben (gerne Persönliches mit Bild oder Video) und mit seinen Daten zu zahlen. Und wenn alle anderen das doch auch machen, möchte man doch in nichts nachstehen.

Kinder brauchen Vorbilder!

Wenn wir uns mit der Frage befassen, wie man Kinder bei einem eigenverantwortlichen, kompetenten und – ich würde noch ergänzen – respektvollen Medienumgang unterstützen kann, kommen wir immer zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche vor allem Folgendes brauchen:

Zum einen brauchen sie alters- und entwicklungsangemessene Medienangebote, in denen sie Schritt für Schritt lernen können, wie man sich im Netz bewegt und verhält. Hierzu zählen beispielsweise Kindersuchmachschinen wie BlindeKuh und FragFinn, oder Angebote wie YouTube Kids oder  Knipsclub als Beispiel für eine Foto-Plattform für Kinder zum Austausch und Lernen in geschütztem Rahmen. Wer nach tollen Angeboten für Kinder sucht, sollte einmal bei seitenstark.de vorbeischauen.

Darüber hinaus brauchen Kinder und Jugendliche gute Vorbilder in Bezug auf konkretes Medienhandeln, Haltung (gegenüber Medien), soziale Verhaltensweisen und Wertvorstellungen. Aber was zeichnet nun ein gutes digitales Vorbild aus? Aus meiner Sicht ist ein gutes digitales Vorbild…

… jemand, der sein Medienhandeln und dessen Wirkung auf andere reflektiert. Das gilt für die Dauer und die Inhalte, aber auch für die Nutzung in bestimmten Situationen (z.B. Kino, Kirche, Abendessen, im Beisein von anderen);

… jemand, der sich kompetent verhält, wenn es um einen sicheren Medienumgang geht;

… jemand, der sich respektvoll gegenüber anderen verhält, sowohl analog als auch im digitalen Raum und der auch Haltung und auch – wo möglich – Zivilcourage zeigt, wenn anderen Schaden zugefügt wird.  

Das sind natürlich Idealvorstellungen, die sich nur schwer alle einlösen lassen, aber das sollte uns nicht daran hindern, es an der einen oder anderen zu versuchen. Auch muss man sich vergegenwärtigen, dass es DAS eine richtige Vorbild nicht gibt, ebenso wenig wie das eine Patentrezept für einen gute Medienerziehung. Aber man kann sich z. B. mit Blick auf die eigenen Kinder überlegen, was man möchte, das sie sich von einem abgucken und was nicht.

Ein gutes digitales Vorbild zu sein, ist angesichts der vielen Möglichkeiten und Versuchungen wahrlich keine leichte Aufgabe. Im Gegenteil, es ist verdammt anstrengend und auch sehr unbequem.

Es ist unbequem, einen Messenger-Dienst zu nutzen, der sicher ist, aber über den nicht alle erreichbar sind oder anstelle einer WhatsApp-Gruppe in der Schule eine herkömmliche Telefonkette zu organisieren.

Es ist mühsam, sich mit Datenschutzbestimmungen auseinanderzusetzen (wer hat da wirklich Lust zu?) und dem Kind vielleicht zu erklären, dass es noch zu jung ist, ein Angebot zu nutzen.

Überhaupt ist anstrengend, sich mit der immer komplexer werdenden Mediennutzung der Kinder auseinanderzusetzen, die eigene Haltung zu vertreten, mitunter Grenzen zu setzen und Konflikte auszuhalten, die daraus resultieren. Aber wenn sich Eltern vergegenwärtigen, dass sie für ihr Kind ein wichtiges digitales Vorbild sind, lohnt sich die Anstrengung allemal.

Literatur zum Weiterlesen

  1. Gebel, C.; Lampert, C.; Brüggen, N.; Dreyer, S.; Lauber, A.; Thiel, K. (2022): Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit Onlinebezogenen Risiken. Berlin: Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. 
  2. Hasebrink, U.; Lampert, C.; Thiel, K. (2019): Online-Erfahrungen von 9- bis 17-Jährigen. Ergebnisse der EU Kids Online-Befragung in Deutschland 2019. 2. überarb. Auflage. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut. LINK